Die Neidlinger Rathausuhr - schmiedeeisernes Kleinod am Puls der Zeit
Im Jahr 1747 erbaute der Schopflocher Schmied und Uhrmacher Johannes Allgayer die Neidlinger Rathausuhr.
Ob er sich wohl vorstellen konnte, dass sie auch noch im Jahr 2011 ihren Dienst tun würde?
Ganz sicher aber nicht, mit welchen modernen technischen Ergänzungen das geschehen sollte.
Schmiedeeisernes Kleinod am Puls der Zeit
Alle Teil des Uhrwerks schmiedete Allgayer von Hand. Er fügte sie zusammen, ohne dafür Schrauben zu verwenden. Anfangs trieb das Uhrwerk nur die Zeiger des großen Zifferblattes an der Außenfassade, die Hirsche oberhalb dieses Zifferblattes und zwei Glocken an. Im Jahr 1834 kam im damaligen Sitzungssaal ein weiteres Zifferblatt hinzu. 1859 wurde die Uhr umfassend renoviert, es wurden mehrere Zahnräder ausgetauscht. Dass die Rathausuhr bis dahin 112 Jahre durchgehalten hatte, sprach für ihre ausgezeichnete Qualität. Bei dieser Renovierung wurde auch das Figurenlaufwerk angebaut, es vollzieht zu jeder vollen Stunde eine halbe Umdrehung. Deshalb sind die beiden Figuren im stündlichen Wechsel von außen zu sehen. Weil das Figurenlaufwerk ein größeres Antriebsdrehmoment erforderte, wurden die drei Sandsteingewichte durch Eisenkübel ersetzt. Deren Befüllung ließ sich leicht dem Bedarf anpassen. Anfang des 20. Jahrhunderts wurde das Uhrwerk erneut renoviert, die Funktionen blieben wie bisher.
Die Uhr ist in drei verschiedene Werke geteilt, jedes hat sein eigenes Gewicht. Das für die Zeit verantwortliche Gangwerk mit der Hemmung und dem Pendel befindet sich in der Mitte. Zu jeder Viertelstunde löst es das Viertelstundenwerk aus, das rechts daneben angebracht ist und den Schlag der Viertelstundenglocke antreibt. Außerdem sorgt es stündlich für die halbe Drehung des Figurenrads. Das linke Stundenwerk wird zu jeder vollen Stunde durch das Viertelstundenwerk ausgelöst. Es treibt das Schlagen der Stundenglocke und das Kämpfen der Hirsche an.
Mit dem Neidlinger Rathaus wurde von 2000 bis 2004 auch die Rathausuhr grundlegend saniert. Das schmiedeeiserne Kleinod wurde in einer Uhrenstube aus morschen Brettern, mitten zwischen gestapelten Dachplatten, Staub und Dreck entdeckt. „Trotz grauer Farbe und jahrhundertealtem Schmutz ist die Schönheit des Werkaufbaues und die Qualität der Schmiedekunst zu erkennen und zu bewundern. Damit war klar, dass diese Kostbarkeit erhalten bleiben muss“, schrieben Hans Scheurenbrand, Mario Bader, Thomas Otto und Matthias Walz in ihrer ausführlichen Broschüre über die Restaurierung.
Sie bedeutete viel Arbeit und verlangte die gute Zusammenarbeit vieler Beteiligter. Die Schmutzschicht auf der Uhr war vermischt mit Uhrenöl, von der Farbe des Uhrenrahmens war fast nichts mehr zu erkennen. Die unebenen Balken des Uhrenlagers reichten für einen sicheren Gang der Uhr nicht mehr aus. Im Mai 2001 erarbeitete die Schwäbisch Gmünder Restauratorin Martina Fischer eine Bestandsaufnahme. Im Januar 2002 wurde die Uhr nach Kernen im Remstal abtransportiert. Vier Monate später stimmte der Denkmalschutz – nach anfänglicher Skepsis – dem von Fischer und Professor Dr.Ing. Scheurenbrand erstellten Restaurierungskonzept zu. Das Uhrwerk wurde vermessen, die Übersetzungen ermittelt und umfangreiche Berechnungen angestellt. Bei der mechanischen Überarbeitung das Uhrwerks wurden unter anderem die gebrochene Schlossscheibe beim Stundenschlagwerk geschweißt, Lager mit gehärteten Laufbuchsen nachgerüstet, Gangrad und Anker in Handarbeit nachgeschliffen und nachpoliert.
Trotz aller Liebe zur historischen Technik sollte eine Rathausuhr heute die korrekte Zeit anzeigen. Dafür ist die moderne Technik verantwortlich, die im Uhrengestell versteckt wurde. Die Gewichte werden von elektrischen Motoren aufgezogen. Wann sie in Aktion treten, legen Sensoren fest. Die Sensoren lassen sich durch den roten Lichtschein, der auf die Umlenkrollen der Gewichte gerichtet ist, erahnen. Auch die Antriebsketten, die zu den Walzen führen, sind zu sehen. Zu Demonstrationszwecken können die Gewichte aber noch immer mit der Handkurbel aufgezogen werden. Die Gewichte sind keine mit Schutt gefüllten Kübel mehr, sondern wieder aus Sandstein. Die Steine haben Hohlräume, die mit Bleistücken gefüllt wurden. Dadurch konnten die Gewichte exakt abgestimmt werden.
Im Oktober 2003 kam die Neidlinger Rathausuhr aus dem Remstal zurück nach Neidlingen, im Mai 2004 kam sie an ihren heutigen Platz. In ihrer Glasvitrine im Sitzungssaal erinnert sie die Gemeinderäte bei jeder Sitzung daran, was die Stunde geschlagen hat. Und zwar sehr zuverlässig: Über ein Vergleichergetriebe wird die von der Rathausuhr gezeigte Zeit kontinuierlich mit der Referenzzeit einer Funkuhr verglichen und bei einer Abweichung korrigiert. Dadurch liegt die Abweichung bei maximal einer halben Minute, in der Praxis bei nur wenigen Sekunden. Zwischen Sommer- und Winterzeit wird automatisch umgestellt. Sollte das mechanische Werk einmal ausfallen, geht die Uhr durch den elektrischen Korrekturantrieb trotzdem richtig, wenn auch dann im Minutentakt.
Quelle: Teckbote vom 09.12.2011
von Peter Dietrich, freier Jounalist